Eine Kataraktoperation sollte spätestens dann erfolgen, wenn die Trübung der Augenlinse die Sehfunktion so stark beeinträchtigt, dass sie den Anforderungen des täglichen Lebens nicht mehr gerecht wird und eine Operation voraussichtlich zu einer signifikanten Verbesserung führt. Diese Einschätzung entspricht sowohl den internationalen Empfehlungen der American Academy of Ophthalmology (AAO) (1)(2), als auch meiner eigenen klinischen Erfahrung als Kataraktchirurgin mit über 10.000 erfolgreich durchgeführten Eingriffen.

Grauer Star: Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Operation?

Die Frage „Grauer Star – wann spätestens operieren?“ wird mir in meiner täglichen Praxis häufig gestellt – besonders von Patientinnen und Patienten, bei denen erste Symptome wie zunehmende Blendempfindlichkeit, unscharfes Sehen oder reduzierte Kontrastwahrnehmung auftreten.

Die wissenschaftliche Antwort darauf ist differenziert: Es existiert keine starre Visusgrenze (wie z. B. <50%), die automatisch eine Operationsindikation bedeutet. Vielmehr basiert die Entscheidung auf funktionellen Einschränkungen, die individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen werden.

Grauer Star – eine schleichende Veränderung

Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass der Graue Star langsam fortschreitet. Die Linse wird nach und nach trüb und schränkt die Sehkraft zunehmend ein. Typische Symptome sind:

– Verschwommenes Sehen, wie durch einen Schleier
– Blendempfindlichkeit, besonders bei Nacht
– Probleme beim Lesen, Autofahren oder Erkennen von Gesichtern
– Häufige Änderung der Brillenstärke

Viele Betroffene gewöhnen sich über Monate oder Jahre an die langsame Verschlechterung und sind oft ganz erstaunt, wenn sie von Ihrem Augenarzt oder Ihrer Augenärztin die Diagnose Katarakt erhalten.

Wann sollte man Grauen Star spätestens operieren?

Spätestens dann, wenn …

… die Sehbeeinträchtigung die Lebensqualität relevant einschränkt; sei es beim Lesen, Autofahren, Erkennen von Gesichtern oder in der beruflichen Tätigkeit.
… die Trübung eine weiterführende Diagnostik anderer Augenerkrankungen (z. B. Netzhaut oder Sehnerv) verhindert.
… die Katarakt zu sekundären Komplikationen führt, etwa einem phakolytischen Glaukom, Linsenschwellung oder intraokularer Entzündung.
… eine klinisch relevante Anisometropie vorliegt, also eine deutlich unterschiedliche Brechkraft beider Augen, die z. B. nach einer einseitigen Operation entsteht und das Binokularsehen massiv stört.(1)(2)

Auch Patienten mit scheinbar guter Sehschärfe, aber starker Blendempfindlichkeit, Störungen des Dämmerungssehens oder Kontrastverlust, können von einer frühzeitigen Operation profitieren.(3)

Gibt es ein „zu spät“ bei der Kataraktoperation?

Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass man mit der Operation „warten sollte, bis der Star reif ist“. Diese Empfehlung stammt aus einer Zeit, in der die Operationstechniken weniger fortgeschritten waren. Früher musste man tatsächlich warten, bis die Linse eine gewisse Härte erreicht hat, da sie als Ganzes aus dem Auge entfernt wurde. Durch die heutige Phakoemulsifikation, also das Verflüssigen und Absaugen der Linse, kann in jedem Kataraktstadium und auch klare Linsen (wie beim refraktiven Linsentausch) komplikationslos operiert werden.

Daher soll heute ein unnötiges Abwarten bis zur vollständigen „Reifung“ der Linse vermieden werden, da dies das Risiko von Komplikationen insbesondere bei maturen oder intumeszenten Katarakten erhöhen kann. In solchen Fällen kann die Operation technisch anspruchsvoller werden und die Komplikationsrate steigen, beispielsweise durch Kapselrupturen oder erhöhten intraokularen Druck.

Der individuelle Nutzen steht im Zentrum

Die Entscheidung zur Operation sollte stets gemeinsam mit dem Patienten getroffen werden. Sie hängt von mehreren Faktoren ab:

– Aktuelle visuelle Funktion (nicht nur Sehschärfe/Visus!)
– Persönliche Lebensumstände und Sehbedürfnisse
– Berufliche Anforderungen (z. B. Bildschirmarbeit, Autofahren)
– Erwartungshaltung an das postoperative Ergebnis
– Mögliche zusätzliche Augenerkrankungen (z. B. Makuladegeneration)

In meiner Funktion als Augenchirurgin lege ich großen Wert darauf, Patienten umfassend zu beraten – evidenzbasiert, aber auch einfühlsam. Denn jeder Mensch hat andere visuelle Ansprüche und Lebensumstände.

Zusammenfassung: Grauer Star – Wann spätestens operieren?

Die Operation des Grauen Stars sollte spätestens dann durchgeführt werden, wenn:

– die Sehfunktion den alltäglichen Anforderungen nicht mehr gerecht wird,
– die Linsentrübung andere Behandlungen oder Diagnostik behindert,
– das Risiko für Komplikationen durch Abwarten steigt oder
– der Patient einen informierten Entschluss für die Operation trifft.

Dabei sind moderne Kataraktoperationen heute sicher, präzise und hochindividualisierbar – etwa durch den Einsatz von Speziallinsen, wie Monofokal plus, EDOF-, torischen oder trifokalen Intraokularlinsen, die zusätzlich zur Katarakt auch Fehlsichtigkeiten und Alterssichtigkeit korrigieren können.

(1) Miller KM, Oetting TA, Tweeten JP, Carter K, Lee BS, Lin S, Nanji AA, Shorstein NH, Musch DC; American Academy of Ophthalmology Preferred Practice Pattern Cataract/Anterior Segment Panel. Cataract in the Adult Eye Preferred Practice Pattern. Ophthalmology. 2022 Jan;129(1):P1-P126.

(2) Chen SP, Woreta F, Chang DF. Cataracts: A Review. JAMA. 2025;333(23):2093–2103.

(3) Lundström M, Pesudovs K. Catquest-9SF patient outcomes questionnaire: nine-item short-form Rasch-scaled revision of the Catquest questionnaire. J Cataract Refract Surg. 2009 Mar;35(3):504-13.