Kann man Grauer Star heilen ohne Operation?

Diese Frage höre ich als Kataraktchirurgin oft und ich verstehe sie nur zu gut. Der Wunsch, den Grauen Star mit Tropfen oder Tabletten zu behandeln, ist naheliegend. Niemand unterzieht sich gerne einer Operation – auch wenn sie noch so sicher und routiniert durchgeführt wird. Aber was sagt die aktuelle Forschung dazu? Gibt es bald Medikamente, die den Grauen Star wirklich rückgängig machen oder verhindern können? In diesem Beitrag teile ich mit Ihnen den derzeitigen wissenschaftlichen Stand mit meiner persönlichen Einschätzung als Augenärztin mit jahrelanger Erfahrung und selbst in der Kataraktforschung tätig.

Derzeit keine zugelassene medikamentöse Therapie

Die nüchterne Realität zuerst: Derzeit existieren keine zugelassenen, nicht-chirurgischen Therapien zur Rückbildung oder Verzögerung des Grauen Stars. Die American Academy of Ophthalmology (AAO) und die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) betonen klar: Die Kataraktoperation ist derzeit die einzige wirksame und bewährte Behandlungsmethode.

Lokale Therapien, wie Augentropfen, werden intensiv erforscht, aber keines der bislang getesteten Medikamente hat eine ausreichende klinische Wirksamkeit nachweisen können. Eine kausale oder krankheitsmodifizierende Behandlung steht somit derzeit nicht zur Verfügung. Vorübergehend können Brillenanpassungen oder vergrößernde Sehhilfen helfen, Symptome zu lindern – sie ersetzen jedoch keine endgültige Therapie.

In der klinischen Forschung werden jedoch verschiedene pharmakologische Ansätze untersucht, die auf die Entstehung des Grauen Stars abzielen. Weltweit forschen Labore an Substanzen, die in Zukunft tatsächlich gegen die Linsentrübung wirken könnten. Einige der spannendsten Ansätze:

1. Oxysterole

Oxysterole wie Lanosterol und 5-cholesten-3β,25-diol (VP1-001)sind Steroide konnten in präklinischen Modellen die Aggregation von Linsenproteinen rückgängig machen. Erste Tierstudien zeigten vielversprechende Resultate – bei Hunden und Mäusen verbesserten sich die Linsentrübungen. Doch bei Menschen ist die Lage komplexer: Lanosterol ist ein großes Molekül, das nur schwer durch die Hornhaut zur Linse gelangt. Zudem fehlen Daten zur Sicherheit und Langzeitwirkung. Bislang existieren keine abgeschlossenen, größeren Humanstudien, die eine klinische Wirksamkeit belegen (1)(2). Derzeit ist Lanosterol nicht zugelassen – weder in Europa noch in den USA.

2. Antioxidantien

Antioxidantien wie N-Acetylcarnosin (NAC) und N-Acetylcysteinamid sollen oxidativen Stress im Linsengewebe reduzieren. Oxidativer Stress gilt als einer der Hauptfaktoren bei der Entstehung des Grauen Stars. Erste klinische Studien mit N-Acetylcarnosin-Augentropfen zeigen eine mögliche Reduktion der Linsentrübung, jedoch ist die Evidenzlage bislang unzureichend für eine klinische Anwendung. Die American Academy of Ophthalmology betont, dass es derzeit keine ausreichenden Belege für die Wirksamkeit dieser Substanzen gibt und sie nicht empfohlen werden (3).

3. Weitere Ansätze

Weitere experimentelle Strategien umfassen Aldose-Reduktase-Inhibitoren, molekulare Chaperone und RNA-basierte Therapien, die sich noch im präklinischen oder sehr frühen klinischen Stadium befinden. Fortschritte in der Nanomedizin könnten die gezielte Medikamentenabgabe an die Linse verbessern, sind aber bislang nicht in der klinischen Routine angekommen (2)(4).

Zusammenfassend sind alle genannten Ansätze derzeit experimentell, und keine dieser Therapien ist für die klinische Anwendung zugelassen oder von Fachgesellschaften wie der American Academy of Ophthalmology empfohlen.

Warum sind Augentropfen so schwer zu entwickeln?

Die Herausforderung liegt in der Anatomie des Auges: Die Linse liegt tief im Inneren des Auges, geschützt durch Hornhaut, Kammerwasser und Iris. Nur sehr wenige Wirkstoffe gelangen überhaupt dorthin und wenn, dann oft in zu geringer Konzentration. Zusätzlich müssen Substanzen gut verträglich, nicht toxisch und langfristig sicher sein. Der Weg von der Laboridee bis zur zugelassenen Augentropfen-Therapie ist also lang – und mit vielen Unsicherheiten verbunden.

Mein Fazit als Kataraktchirurgin

Kann man Grauer Star heilen ohne Operation?
Derzeit: Nein.

Auch wenn die Forschung mit Hochdruck daran arbeitet, ist eine medikamentöse Therapie aktuell nicht verfügbar und möglicherweise noch Jahre entfernt.

Die gute Nachricht: Die moderne Kataraktchirurgie ist heute ein hochpräziser, schneller und schmerzfreier Eingriff mit exzellenten Ergebnissen. In meiner Praxis setze ich modernste Speziallinsen ein, mit denen sich oft sogar bestehende Fehlsichtigkeiten und sogar Alterssichtigkeit korrigieren lassen – für mehr Lebensqualität und oft weniger Brillenabhängigkeit.

Zusammenfassung:

Eine Lokaltherapie gegen Grauen Star existiert derzeit nicht als kausale oder krankheitsmodifizierende Behandlung. Die American Academy of Ophthalmology betont in ihrer aktuellen Leitlinie, dass die Behandlung der Katarakts primär chirurgisch erfolgt. Eine lokale, medikamentöse Therapie zur Rückbildung oder Verzögerung des Grauen Stars steht nicht zur Verfügung. Anpassungen der Brillen- oder Kontaktlinsenstärke sowie der Einsatz von vergrößernden Sehhilfen können vorübergehend die Symptome lindern, ersetzen aber keine definitive Therapie. Pharmakologische Ansätze wie antioxidative Augentropfen (z. B. N-Acetylcarnosin) oder Lanosterol-haltige Präparate werden zwar erforscht, haben aber bislang keine Zulassung für die klinische Anwendung beim Menschen erhalten und werden von der American Academy of Ophthalmology ausdrücklich nicht empfohlen, da die Evidenz für einen Nutzen fehlt.[1-3] Die definitive und einzig wirksame Therapie bleibt die Kataraktoperation.

(1) Chen SP, Woreta F, Chang DF. Cataracts: A Review. JAMA. 2025;333(23):2093–2103. doi:10.1001/jama.2025.1597

(2) de Diego-García L, Rejas-González R, Latre IC, Guzman-Aranguez A. Pharmacological Strategies for Cataract Management: From Molecular Targets to Clinical Translation. Int J Mol Sci. 2025 Jun 13;26(12):5658.

(3) Lee BJ, Afshari NA. Advances in drug therapy and delivery for cataract treatment. Curr Opin Ophthalmol. 2023 Jan 1;34(1)

(4) Chen Y, Ye Z, Chen H, Li Z. Breaking Barriers: Nanomedicine-Based Drug Delivery for Cataract Treatment. Int J Nanomedicine. 2024 May 6;19:4021-4040.