Nach einer Operation des Grauen Stars (Katarakt) setzen wir eine künstliche Linse (Kunstlinse, Intraokularlinse, IOL) ins Auge ein, um die eingetrübte natürliche Linse zu ersetzen. Die meisten Patientinnen und Patienten genießen bereits kurz nach dem Eingriff ein deutlich klareres Sehen. Dennoch berichten manche in den ersten Tagen oder Wochen nach der Operation über ungewohnte optische Phänomene – darunter häufig Schatten am Rand des Blickfeldes.
Als Kataraktchirurgin mit über 10.000 persönlich durchgeführten Operationen kann ich beruhigen: Ja, solche Schatten können nach einer Katarakt-OP normal sein. Sie sind in der Regel harmlos und verschwinden oft von selbst. Dennoch lohnt es sich, genau zu verstehen, warum diese Phänomene auftreten und wann ein augenärztliche Abklärung sinnvoll ist.
Was steckt dahinter? Dysphotopsien als Ursache
Das Phänomen, nach einer Kataraktoperation Schatten zu sehen, gehört zu den sogenannten Dysphotopsien. Dabei handelt es sich um optische Effekte, die durch die implantierte Kunstlinse, ihre Position oder durch Wechselwirkungen mit der Pupille entstehen.
Es gibt zwei Formen dieser sogenannten photischen (Licht-) Phänomene:
1. Positive Dysphotopsien: Lichtblitze, Halos, Blendung oder Lichtstreifen.
2. Negative Dysphotopsien: dunkle, halbmondförmige Schatten am äußeren Rand des Gesichtsfelds.
Viele Patientinnen und Patienten beschreiben den Eindruck, als würde „am seitlichen Rand ein dunkler Halbkreis oder Schatten auftauchen“ oder „etwas am Rand fehlen“. Das kann gerade in den ersten Tagen irritierend sein, ist aber oft nur eine vorübergehende Anpassungsreaktion.
Wissenschaftlicher Hintergrund: Theorien zur Entstehung negativer Dysphotopsien
Die Entstehung negativer Dysphotopsien ist komplex und beruht vermutlich auf einer Kombination mehrerer optischer und anatomischer Faktoren. In der Literatur werden unterschiedliche Theorien diskutiert:
1. Lichtabschattung durch den Linsenrand
Bei Intraokularlinsen mit scharfer Optikkante (die dazu entwickelt wurde den Nachstar zu verhindern) kann durch die fehlende Lichtbrechung im Randbereich der Kunstlinse ein temporaler Schatten wahrgenommen werden. Im peripheren Gesichtsfeld wird dies als dunkler Halbmond empfunden, insbesondere bei seitlichem Lichteinfall. Der Linsenrand nach Grauer Star OP spielt deshalb eine große Rolle, weil der Optik-Durchmesser der meisten Kunstlinsen viel kleiner als die natürliche Linse ist, nämlich 6 mm. Es gibt auch Intraokularlinsen mit 7 mm Optikdurchmesser, die in speziellen Fällen implantiert werden können.
2. Interaktion von Linsenoptik und Kapselsack
Nach der Operation sitzt die Linse im Kapselsack. Je nach Abstand zwischen Linsenoptik und Iris, sowie der Form der vorderen Linsenkapsel kann es zu Lichtbrechungen kommen, die einen Schatten auf die Netzhaut projizieren. Die sogenannte ‚anterior capsule overlap‘-Hypothese geht davon aus, dass ein teilweises Überlappen der Kapsel über den Linsenrand diese Effekte verstärkt.
3. Pupillengröße und Lichteinfall ins Auge
Interessanterweise werden die schwarzen Schatten bei kleiner Pupille oft stärker wahrgenommen. Mehr Licht (enge Pupille) und Lichtquellen von der Seite können den wahrgenommenen Schatten verstärken. Bei größeren Pupillen – etwa bei Dunkelheit – verändert sich der Strahlengang und der Effekt kann schwächer oder aber auch stärker werden.
4. Brechungsindex und Materialeigenschaften der Linse
Linsenmaterial mit hohem Brechungsindex (z. B. hydrophobes Acryl) leitet Licht anders als Materialien mit niedrigerem Index. Diese optischen Unterschiede können das Risiko für negative Dysphotopsien erhöhen.
5. Netzhautprojektion und neurovisuelle Verarbeitung
Einige Autoren nehmen an, dass nicht nur der optisch-physikalische Schatten, sondern auch die Gehirninterpretation der Netzhautbilder eine Rolle spielt. Das visuelle System muss sich an die neue Abbildungseigenschaft der Linse anpassen (Neuroadaptation). Dieser Prozess kann oft mehrere Wochen bis Monate dauern.
Aktuell wird davon ausgegangen, dass keine einzelne Theorie das Phänomen vollständig erklärt. Wahrscheinlich entstehen negative Dysphotopsien durch ein Zusammenspiel von Linsendesign, Implantationsposition, anatomischen Besonderheiten des Auges und der neuronalen Adaptation. Durch meine langjährige Erfahrung in der Katarakt- und Kunstlinsenforschung kann ich sagen, dass diese Phänomene zwar häufig vorkommen, aber langfristig kaum ein Problem darstellen.
Ist ein schwarzer Rand nach einer Grauer-Star-OP normal?
In den ersten Wochen nach der Operation: ja. Das Gehirn muss sich erst an die neue optische Situation gewöhnen. Bei den meisten Menschen passt sich das Sehsystem innerhalb weniger Wochen bis Monate an, und der schwarze Rand verschwindet.
Studien zeigen:
– Direkt nach der OP berichten ca. 15 % der Patientinnen und Patienten über negative Dysphotopsien.
– Nach einem Jahr sind es nur noch etwa 3 %.
Wann verschwinden Halos nach Katarakt-OP?
Als Halos werden Lichtkreise um Lichtquellen bezeichnet. Sie gehören zu den positiven Dysphotopsien. Sie treten häufiger bei Multifokal- oder EDOF-Linsen auf, da diese durch die Lichtaufteilung spezielle Lichtverteilungsmuster erzeugen. Nach meiner Erfahrung klingen Halos oft innerhalb von 3 bis 6 Monaten deutlich ab. Dieser Zeitraum hängt stark von der individuellen Anpassungsfähigkeit des Gehirns und den Lichtverhältnissen im Alltag ab.
Kann ein Kunstlinse im Auge verrutschen? Wie merkt man, dass eine künstliche Linse verrutscht ist?
Eine ‚Verrutschung der Linse‘ (Dezentrierung, Subluxation oder Luxation) ist selten. Anzeichen können sein:
– plötzliche deutliche Verschlechterung der Sehschärfe
– Doppelbilder
– deutliche Bildverschiebungen oder Verzerrungen
– schiefer Pupillenreflex bei Lichteinfall
Bei solchen Symptomen sollte eine ehestmögliche augenärztliche Untersuchung erfolgen. In den meisten Fällen haben Schatten nach einer Katarakt-OP aber nichts mit einer Verrutschung zu tun.
Meine Erfahrung als Kataraktchirurgin
In meiner täglichen Praxis erlebe ich, dass viele Patientinnen und Patienten diese optischen Nebeneffekte zunächst beunruhigend finden. Wenn ich erkläre, dass es sich meist um eine normale und vorübergehende Erscheinung handelt, werden die Bedenken gleich weniger.
Durch moderne Linsentechnologie und präzise Operationsmethoden können wir das Risiko für störende Dysphotopsien heute deutlich reduzieren. Dennoch ist es wichtig ehrlich aufzuklären, denn so wissen Betroffene, was normal ist und wann Handlungsbedarf besteht.
Therapieoptionen bei anhaltenden Schatten
Falls die Schatten nach mehreren Monaten nicht verschwinden oder sehr störend bleiben, gibt es verschiedene Möglichkeiten:
– Beobachtung und Geduld: In den meisten Fällen verschwinden die Symptome von selbst oder werden weniger störend
– Tragen einer Brille: durch den Brillenrand und die Korrektur von eventuell vorhandener Restsehfehler bessern sich die negativen Dysphotopsien nachweislich
– Beratung und Aufklärung: Das Wissen, dass die Symptome meist harmlos und vorübergehend sind, hilft vielen Patientinnen und Patienten
Chirurgische Maßnahmen: Bei anhaltenden oder sehr störenden Beschwerden gibt es verschiedene Möglichkeiten:
– Reverse Optic Capture: Verlagerung der Linsenoptik vor die vordere Kapsel; hohe Erfolgsrate (ca. 96 %) bei geeigneter IOL-Positionierung
– Piggyback- oder AddOn IOL: Implantation einer zweiten Linse zur Lichtstreuung; Erfolgsrate ca. 73%
– Laserbehandlung der vorderen Linsenkapsel (Nd:YAG-Kapsulotomie): Entfernung des nasalen Anteils der vorderen Kapsel mittels Nd:YAG-Laser.
– Austausch der Linse gegen ein anderes Modell: Erwägung bei persistierenden Beschwerden; Austausch gegen eine 3-teilige IOL mit alternativer Fixationstechnik (zB im Sulkus)
Diese Eingriffe werden individuell abgewogen und sind meist nur bei starken, bleibenden Beschwerden notwendig.
Zusammenfassung Dysphotopsien
Das Sehen von Schatten nach einer Kataraktoperation ist in den meisten Fällen normal, vorübergehend und harmlos. Meist verschwinden die Symptome innerhalb weniger Wochen bis Monate von selbst. Nur wenn zusätzliche Beschwerden auftreten oder die Beeinträchtigung bestehen bleibt, sollte man eine augenärztliche Kontrolle wahrnehmen.
Als erfahrene Spezialistin für Kataraktchirurgie in Wien begleite ich meine Patientinnen und Patienten von der ersten Beratung bis zur vollständigen visuellen Rehabilitation – damit sie nicht nur klar, sondern auch beschwerdefrei sehen können.
Referenzen: